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15.11.2021

Die Frau mit dem langen Schnauf

Katharina Michel-Nüssli ist massgeblich für den Erfolg des LIFT-Programms in Amriswil verantwortlich: Ein Portrait der 57-Jährigen.


Katharina Michel-Nüssli auf dem Areal der Sekundarschule Grenzstrasse, wo sich auch ihr Arbeitsplatz befindet.

Bericht Thurgauer Zeitung online 15.11.2021 / Manuel Nagel

Zu Beginn sei es schwierig gewesen, das LIFT-Projekt zu erklären, gesteht Katharina Michel. «Heute kann ich das in vier, fünf Sätzen», sagt sie. Damals, im August 2010, kannte sie zwar die Theorie, hatte jedoch noch keine Erfahrung damit. Das Projekt machte eine Entwicklung durch und ist heute ein etabliertes Programm der VSG Amriswil-Hefenhofen-Sommeri. «Zu Beginn hatte die Jugendlichen nicht dasselbe Profil wie heute», sagt Michel. In einer ersten Phase habe man eher die verhaltensauffälligen ausgewählt – und hätte das Projekt so beinahe kaputt gemacht, erinnert sich Michel. Heute nehme man eher zurückhaltende Jugendliche.

Auch Michels eigenes Berufsprofil hat sich im Laufe ihrer Karriere stark gewandelt. Als Katharina Nüssli wuchs sie im Tösstal auf und besuchte die Kantonsschule. «Ich war eher eine Exotin», sagt sie, denn im Gegensatz zu den meisten ihrer Klasse hatten ihre Eltern keinen akademischen Hintergrund. «Auch deshalb war mir diese andere Arbeitswelt nie fremd.»

Dennoch studiert sie weiter, besucht das Primarlehrerseminar in Zürich-Oerlikon und schliesst dieses 1986 ab. Nach einigen Stellvertretungen tritt sie 1987 ihre erste Stelle an. Sie kehrt ins Tösstal zurück und in ihrer Klasse waren viele Kinder aus einfachen Verhältnissen, von Bauern sowie Wald- und Fabrikarbeitern. Zu der Zeit lernt sie auch ihren Mann kennen, der nach der Schreinerlehre aus dem Oberthurgau ins Tösstal kam. Die beiden heiraten, gehen vier Monate auf Reisen in Südamerika und nach ihrer Rückkehr auf Stellensuche – und landen so 1993 in Dozwil, als Katharina Michel mit dem ersten Kind schwanger ist.

Auch heute noch verrät Michels Dialekt ihre Herkunft. Das sei zu Beginn im Oberthurgau nicht einfach gewesen, das liess man die junge Mutter spüren. Eigentlich wollte sich das Ehepaar Beruf und Familie aufteilen, doch sei sie oft bei der Stellensuche gefragt worden, wer denn nach ihrem Kind schaue, wenn sie arbeite.

Es folgten Stellvertretungen und auch einzelne Jobsharings. «Ich habe einen guten Job als Primarlehrerin gemacht», sagt Katharina Michel rückblickend. «Aber mit der Zeit merkte ich, dass es mir dabei nicht immer gut ging, dass ich nicht mehr so zufrieden war», sagt sie. Es sei ein Gefühl wie im Hamsterrad gewesen, aus dem sie um die Jahrtausendwende ausbrechen und sich neu orientieren wollte.

Nun hat Katharina Michel den Job, den sie liebt

So begann sie 2001 die Ausbildung zur Lerntherapeutin. Wie ein «Befreiungsschlag» sei das gewesen. «Ich bin froh, hatte ich den Mut», sagt Michel. Doch im eher ländlich geprägten Oberthurgau sei die Lerntherapie zu Beginn noch nicht bekannt gewesen. «Ich brauchte einen langen Schnauf», sagt die kürzlich 57-jährig gewordene Pädagogin. Sie lernte Beharrlichkeit und leistete viel Aufklärungsarbeit. All das komme ihr nun auch im LIFT-Programm zugute. Und noch etwas habe sie in jener Zeit gelernt, was auch bei LIFT nötig sei: «Ich brauche Vernetzung.»

Nun hat Michel den Job, den sie liebt. Mit der Zeit sei ein Päckchen entstanden, das für sie stimmt. «Ich habe mich immer mehr für Einzelschicksale interessiert, für jene, die nicht so geradeaus laufen», sagt sie. Deshalb nahm sie mit der Zeit auch immer mehr Jobs an, bei denen sie mit kleinen Gruppen arbeiten und sich um jene kümmern konnte, die durch die Maschen fielen. So war es ein Glücksfall, als die Leitung für LIFT vor elf Jahren unverhofft frei wurde, weil die designierte Person noch vor dem Projektstart eine andere Stelle antrat. Sie habe sich da gesagt: «Das ist meine Chance, die packe ich.» Ein Glücksfall für Katharina Michel – und fürs LIFT-Programm in Amriswil.