News Nordstrasse

31.10.2018

«Direkt ansprechen hilft»

Nach den Schüssen an der Poststrasse herrscht am Dienstag auch bei den Schulkindern im nahen Schulhaus Nordstrasse Aufregung. Lehrer Stefan Ryffel schildert, wie er mit den Gerüchten umgegangen ist.


Lehrer Stefan Ryffel hat mit seiner Klasse die Schiesserei an der Poststrasse thematisiert. (Bild: Rita Kohn)

Bericht: Thurgauerzeitung online: 31.10.2018, Rita Kohn

«Ich habe zuerst gedacht, das sind so Silvesterknaller.» Sandro macht grosse Augen und schildert lebhaft, wie er am frühen Dienstagmorgen aus dem Schlaf gerissen worden ist. Es habe ein paarmal laut «geklöpft». Dann hörte Sandro eine Frau schreien. Der Zehnjährige schaudert. Dass etwas Schlimmes passiert sein musste, habe er aber erst gemerkt, als er in die Schule ging und es überall Polizisten und Absperrband gab.

Der Schüler, der das nahe Schulhaus Nordstrasse besucht, blickt auf die Strasse, wo nichts mehr von den Ereignissen des frühen Dienstagmorgens zu sehen ist. «Es war alles voll Blut», sagt er. Gleich neben einem Auto. Er habe es auf dem Weg zur Schule gesehen.

Alle sprachen davon

Sandro ist einer der einzigen, die so nahe am Geschehen waren. Aber die Ereignisse an der Poststrasse waren in der Schule in aller Munde. Fast jeder wollte etwas beitragen, und so schwirrten schnell verschiedenste Versionen durch den Raum. «Ich hörte die Kinder davon sprechen», bestätigt Sandros Lehrer Stefan Ryffel. Auch unter der Lehrerschaft wurde darüber diskutiert, dass etwas geschehen sein musste.

Stefan Ryffel wollte den Gerüchten zunächst keinen Raum geben. Doch er merkte schnell, dass die Kinder nicht richtig bei der Sache waren und das Thema sie beschäftigte. In der grossen Pause setzte er sich deshalb an den PC und suchte die News nach Informationen ab. «Da fand ich dann auch die erste kurze Information über die Schiesserei.» In der folgenden Stunde las der Lehrer seiner Klasse die Kurznachricht vor. «Die Kinder waren richtig erleichtert darüber, dass der Täter gefasst worden ist.» Das sei wohl nahezu das Wichtigste für die Schüler gewesen. Dann aber auch, dass das Opfer noch lebte.

Mit Gerüchten umgehen

An sich sei es nicht primär Aufgabe der Schule, mit den Kindern über solche Ereignisse zu sprechen, sagt Stefan Ryffel. «Es ist in erster Linie eine Sache der Eltern.» Dass er die Ereignisse dennoch angesprochen habe, sei auch eine Reaktion auf die sich immer schneller verbreitenden Gerüchte gewesen.

«Jeder wusste blutige Details zu berichten, auch wenn er gar nichts mitbekommen hat.» Deshalb sei es ihm wichtig gewesen, darauf hinzuweisen, wie man mit Gerüchten umgehen sollte. «Es war ein gutes Beispiel, aufzuzeigen, wie Gerüchte entstehen und sich verbreiten.»

Der sachliche Umgang des Lehrers mit der Geschichte hat auch dazu geführt, dass wieder Ruhe in die Klasse einkehren konnte. «Nachdem wir darüber gesprochen haben, konnten sich die Kinder wieder auf den Unterricht konzentrieren.»

Sich sicher fühlen

Für Sandro ist es eine Beruhigung zu wissen, dass der Mann, der geschossen hat, verhaftet worden ist. Jetzt müsse er keine Angst haben, wenn er nach Hause gehe. Er findet es gut, dass der Lehrer die Nachricht aus dem Internet vorgelesen hat. «Da wussten wir alle, was wirklich passiert ist», sagt er.

Dass Stefan Ryffels Strategie aufgeht, zeigt sich einen Tag nach der Schiesserei. «Heute war die Schiesserei kaum mehr ein Thema», sagt der Lehrer. Die Klasse habe sich so verhalten wie sonst und es sei auch keine Unruhe mehr zu spüren gewesen.» Er führt das auch darauf zurück, dass niemand von den Schülern die betroffenen Personen gekannt hat. «Wäre es ein Vorfall im Zusammenhang mit der Schule gewesen, hätten wir ganz anders reagieren müssen.»