News Bildungslandschaft

13.06.2018

Grüezi, bitte, danke, Adie

Was braucht es, um erfolgreich ins Berufsleben starten zu können? Gewerbe und Schule gingen dieser Frage mit einer Podiumsdiskussion auf den Grund. Die Veranstaltung im Amriswiler Kulturforum stiess auf reges Interesse.


Das Podium im Kulturforum Amriswil stiess auf reges Interesse.

Janine Klingenstein, Leiterin der Tagesschule Nostra, Stadträtin Daniela Di Nicola, Timo Meier, Bäcker und Konditor im zweiten Lehrjahr, Hans-Ulrich Giger, Schulleiter der Sekundarschule Grenzstrasse, Marcel Volkart, Chef des Amtes für Berufsbildung und Berufsberatung, Schulpräsident Christoph Kohler und Roger Hehli, Verantwortlicher für die Berufsbildung bei der Stadler Rail.

Bericht Thurgauerzeitung: 12.06.2018 / Manuel Nagel

«Ich habe vor vielen Jahren Koch gelernt», verriet Schulpräsident Christoph Kohler in seiner Ansprache. Und später habe er als Berufsschulfachlehrer über 1000 junge Leute beim Übertritt ins Berufsleben begleiten dürfen. «Von diesen 1000 dürften – realistisch gesehen – vielleicht noch 200 auf ihrem erlernten Beruf arbeiten», sagte Kohler und zeigte damit gleich zu Beginn auf, wie sich die Berufsausbildung in den letzten Jahren verändert hat.

Als Referent begrüsste Gastgeber Kohler den Chef des Amtes für Berufsbildung und Berufsberatung (ABB), Marcel Volkart. Auch er startete seine Berufslaufbahn in einem anderen Sektor, war einst als Primarlehrer tätig. In seinem Inputreferat sprach Volkart unter anderem von der Wichtigkeit der fachlichen Kompetenzen wie Deutsch oder Mathematik, aber auch von überfachlichen Kompetenzen.

Damit lancierte Volkart die anschliessende Podiumsdiskussion, an der sieben Akteure teilnahmen – und Hans-Ulrich Giger, Schulleiter der Sekundarschule Grenzstrasse, nahm den Ball auf: Im Berufsleben sei «der Mensch mit seinen überfachlichen Kompetenzen entscheidend, und nicht dessen Fachkompetenzen». Man müsse Interesse, Hingabe und Wille zeigen. Das bestätigte auch Roger Hehli. Er ist bei der Stadler Rail in Bussnang verantwortlich für rund 60 Lehrlinge und stellte gleich zu Beginn klar, welche vier Dinge für einen Jugendlichen auf der Suche nach einer Lehrstelle entscheidend sind, um beim künftigen Betrieb zu punkten: «Grüezi, bitte, danke, Adie.»

Pünktlichkeit nicht mehr selbstverständlich

Das zahlreiche Nicken unter den rund hundert Besuchern der Veranstaltung bestätigte, dass bei den Gewerblern Werte wie Anstand und Zuverlässigkeit eine höhere Priorität haben, als ein Sechser in Mathe oder Deutsch. Man müsse einen Fan finden, wenn man in einem Betrieb am Schnuppern sei, sagte Hehli. Diese Person könne dann auch der Lobbyist, der Türöffner für eine Lehrstelle in diesem Betrieb sein. Janine Klingenstein war nebst Stadträtin Daniela Di Nicola die einzige Frau auf dem Podium. Sie leitet die Tagesschule Nostra und bildet ebenfalls Lehrlinge aus. «Wenn jemand pünktlich ist und dann auch noch selber angerufen hat, und nicht, dass Mami oder der Papi, um einen Schnuppertermin abzumachen», dann hinterlasse das schon mal einen guten Eindruck, verriet sie ihre bescheidenen Wünsche, die anscheinend nicht mehr selbstverständlich sind in der heutigen Zeit.

«Man muss einen Fan von sich finden.
Diese Person kann dann ein Türöffner sein.»

Die Eltern waren dann auch bei Hans-Ulrich Gigers Votum ein Thema. Man müsse endlich aufhören, schon so früh Lehrverträge abzuschliessen. «Wenn der Sohn oder die Tochter zu Beginn der 2. Sek noch keine Lehrstelle hat, werden die Eltern nervös, weil das Kind des Nachbarn schon einen Lehrvertrag unterzeichnet hat», erzählte er aus seiner Erfahrung. Ausserdem müsse es häufiger Verbindlichkeiten geben, wenn frühzeitig ein Lehrvertrag abgeschlossen werde.

Dies sei ein Riesenproblem, bestätigte auch Roger Hehli, und leider würden da auch einige Kantonsbetriebe mit schlechtem Beispiel vorangehen, weil diese schon sehr früh Lehrverträge abschliessen. «Bei der Stadler Rail gibt es einen Vorvertrag – als Beruhigung für die Eltern, dass die Stelle reserviert ist», sagte Hehli. Doch die Eltern müssten ihm unaufgefordert das nächste Zeugnis zuschicken. Bevor er dieses nicht habe, fülle er auch keinen Lehrvertrag aus.

Kantiprüfung als Argument für eine Lehrstelle

Selber diese Erfahrung hatte Janine Klingenstein gemacht. Auch sie wollte einst schon ein Jahr vorher den Lehrvertrag unterzeichnen, doch ihr Lehrbetrieb winkte ab. Man habe schlechte Erfahrungen gemacht, hiess es, weil der Lehrling sich in diesem Jahr nicht gut entwickelt hatte. «Eine gewisse Motivation sollte im letzten Schuljahr schon noch vorhanden sein», findet Klingenstein. Jüngster Teilnehmer der Diskussion war Timo Meier. Behördenmitglied Bernard Gertsch, der das Podium moderierte, fragte den angehenden Bäcker und Konditor, ob ihm die Berufswahl leicht gefallen sei. «Für mich war das Team entscheidend. Ich habe mich von Anfang an wohl gefühlt im Betrieb», sagte Meier.

Einen spannenden Aspekt im Kampf um begehrte Lehrstellen erzählte Bernard Gertsch. Es gebe eine neue Tendenz. Nach der 2. Sek würden Schüler die Kantiprüfungen machen. Wenn sie diese bestehen, gehen sie jedoch nicht an die Kantonsschule, sondern erhoffen sich damit eine gute Lehrstelle. Und wenn sie diese dann nicht finden, würden sie ein Jahr später doch bei der Kanti anklopfen.

«Nicht nur die Institutionen,
auch die Familien müssen mitarbeiten.»

Grundsätzlich waren sich die Podiumsteilnehmer einig, dass es für einen erfolgreichen Übertritt eines Jugendlichen ins Berufsleben die Mithilfe aller braucht. «Nicht nur die Institutionen, auch die Familien müssen mitarbeiten», sagte Daniela Di Nicola, welche dieses Statement nicht nur als Stadträtin abgab, sondern auch als Mutter von vier Kindern.