News Bildungslandschaft

11.09.2017

Sie gibt ihnen eine Chance

AMRISWIL - Katharina Michel ist nicht nur beim Programm «Lift» der Volksschulgemeinde engagiert. Als Jobcoach und Lerntherapeutin hilft sie jungen Erwachsenen, wenn Schwierigkeiten beim Berufseinstieg auftauchen.


Die 26-jährige Saskia* hat eine bewegte Schulkarriere hinter sich. Mit vielen Höhen und Tiefen – wobei die Tiefschläge überwiegen. Nun sitzt sie in Katharina Michels Büro, und es scheint sich alles zum Guten zu wenden.

Saskia erzählt von ihren Blockaden bei Prüfungssituationen. Aufgrund ihrer Lernschwäche wurde sie in der Oberstufe auffällig und einer Psychologin zugeteilt. So geriet sie bereits früh in die Mühlen der IV. Eine Lehre als Automechanikerin und Auto­lackiererin musste sie aus gesundheitlichen Gründen abbrechen, obwohl sie Spass an der ­Arbeit hatte. Danach begann sie eine Hauswirtschaftslehre, machte nach drei Jahren die Prüfung, doch diese bestand sie nicht. Saskia erzählt, dass fadenscheinige Gründe angegeben worden seien, aber keine wirklichen Fakten. Einer der Gründe sei gewesen, sie habe bei der Prüfung nicht auf die Uhr geschaut, obschon Saskia die Prüfung in der vorgegebenen Zeit absolvierte.

Zuerst den Menschen kennen lernen

Saskia liess das nicht auf sich sitzen, legte Rekurs ein. Das war vor einem Jahr. Auf eine Antwort wartet sie noch heute. «Danach liess ich mich hängen», sagt sie, «und arbeitete in einer Bar.» Doch schon bald dachte sie, das könne doch nicht sein. Sie habe so viel Energie in ihre Lehre gesteckt.

Von der IV wurde Saskia an Katharina Michel verwiesen. Die Lerntherapeutin arbeitet seit letztem Jahr auch als Jobcoach. «Ich musste mich mit einem Konzept bei der IV bewerben und ­erhielt dann einen Rahmen­vertrag», sagt sie. Nun wird sie angefragt, wenn Jugendliche Schwierigkeiten beim Berufseinstieg haben – so wie Saskia.

«Zuerst will ich den Menschen kennen lernen», sagt Michel, «und auch die Vorgeschichte.» Doch dann müsse der Fokus darauf sein, wie es weiter geht. «Auf den Rekurs in diesem Fall hatte ich ja keinen Einfluss.»

Somit war Michels erste Aufgabe, eine neue Lehrstelle für Saskia zu finden. Michel suchte in den Kantonen Thurgau, St. Gallen und Zürich nach möglichen Arbeitgebern. Saskia sei dabei sehr bestimmt und selektiv gewesen, erinnert sich Michel. Doch sie war erfreut, wie initiativ ihre Klientin war. «Ich gab den Rahmen vor und musste vor allem ihre Stimmungsschwankungen ausgleichen», sagt Michel. Ihr Job sei es auch, einfach zuzuhören und die Energie auf das zu lenken, was kommt. Je mehr Zeit verging, desto mehr Vertrauen fanden die beiden Frauen ineinander. «Für mich war wichtig zu wissen, dass Frau Michel einfach da ist», meint Saskia. Wie ein Airbag, zieht Michel einen Vergleich.

Am liebsten in einem sozialen Berufsfeld

Michel fand eine Stelle, bei der Saskia ihre Prüfung wiederholen konnte. Die 26-Jährige erhielt ­einen Vertrag für fünf Monate, ohne die Berufsschule absolvieren zu müssen. Dennoch musste Saskia «recht Gas geben», weil es in jedem Hauswirtschaftsbetrieb wieder anders laufe.

Und noch etwas erreichte der Jobcoach für seinen Schützling: «Aufgrund der Lernschwäche konnte ich einen Nachteilsausgleich erwirken», sagt Michel und betont, dass dabei das Berufsbildungsamt sehr kulant gewesen sei, da die Anmeldefrist dafür schon verstrichen war. Saskia bekam in den vier Prüfungsbereichen Reinigung, Wäscherei, Service, Küche je eine Viertelstunde mehr Zeit – doch nur einmal griff sie darauf zurück.

Saskia würde am liebsten in einem sozialen Beruf arbeiten. «Aber Hauswirtschaft ist ein idealer Einstieg, um eine Struktur und einen Lohn zu erhalten», sagt sie und ist glücklich, dass sie die Prüfung bestanden hat.

Das ist auch Katharina Michel. Häufig habe sie es mit Menschen zu tun, die nicht so privilegiert seien. «Ich finde, die haben nochmals eine Chance verdient», sagt Michel. Es sei ein Leitfaden in ihrer Arbeit. Ausser sie spüre keinen Willen. Das war jedoch bei Saskia nicht der Fall.

*Name geändert.

Bericht und Bild: Manuel Nagel, Tagblatt-Online