News Sekundarschule Egelmoos

26.02.2019

Spiel um den 38. Breitengrad: Die Sekundarschule Amriswil spielt den Korea-Konflikt nach

In der Sekundarschule Egelmoos stand die ganze letzte Woche im Zeichen der Politik. Nebst anderem spielten Lehrer und Schüler die Grenze zwischen Nord- und Südkorea nach.


Nicht das Sekundarschulhaus Egelmoos, sondern das echte Nordkorea, wo Menschen auf dem Mansu-Hügel in der Hauptstadt Pjöngjang soeben den Statuen von Staatsgründer Kim Il-Sung und seinem Sohn Kim Jong-Il die Ehre erwiesen haben. (Bild: Carl Court/Getty, Pjöngjang, 19. August 2018)

Bericht Thurgauerzeitung online 25.2.2019 / Manuel Nagel

Willkürlich ziehen Lehrpersonen mit einem rot-weissen Absperrband eine Grenze durch den Pausenplatz des Egelmoos-Schulhauses. Bewusst werden auch gute Freunde, die im Grüppchen beisammen stehen, auseinandergerissen. Will dennoch jemand auf die andere Seite hinüber, so wird er oder sie von Klassenlehrer Hanspeter Klein gnadenlos zurückgepfiffen.

Viele der Schülerinnen und Schüler fragten sich an diesem Donnerstagmorgen wohl, was das soll. Seit Anfang Woche beschäftigten sie sich in einer Sonderwoche intensiv mit Politik und der Parteienlandschaft der Schweiz, führten gar einen Wahlkampf und liessen sich in ein fiktives Parlament wählen. Zudem stattete am Mittwochvormittag Nationalrätin Diana Gutjahr den vier Klassen einen Besuch ab.

«Wir wollten Politik erlebbar machen»

Und nun sowas. Eine plötzliche und definitive Teilung, wie am 13. August 1961 der Mauerbau in Berlin, als von einem Tag auf den andern Tausende Familien auseinandergerissen wurden – oder wie fast auf den Tag genau 16 Jahre zuvor, als am 11. August 1945 ein amerikanischer Soldat, der spätere Aussenminister George Lincoln, spontan und willkürlich den 38. Breitengrad als Grenze zwischen Nord- und Südkorea definierte.

Um diese zwei Länder drehte sich schliesslich auch das aussergewöhnliche Experiment. Kleins Kollege Paul Vetterli schlüpfte in die Rolle von Machthaber Kim Jong-Un und der verdunkelte Singsaal wurde kurzerhand zum nordkoreanischen Staatsgebiet. Die martialische Hymne dröhnte aus Lautsprechern, immer wieder verkündete der Klassenlehrer hinter Kims Maske propagandistische Parolen. «Eure Aufgabe in diesem Spiel ist nichts anderes, als still und brav dazusitzen», sagte Vetterli, und einige Aufpasser hatten dafür zu sorgen, dass die Schüler genau das taten.

«Spielt ihr dieses Spiel mit?»

fragte Lehrer Paul Vetterli – und bevor seine Schüler antworten konnten, meinte er lakonisch, dass sie gar keine andere Wahl hätten, da sie ja jetzt in einer Diktatur lebten. Und doch betonte Vetterli an diesem Vormittag immer wieder, dass es sich hier nur um ein Spiel handle. Ganz so ernst nahmen es die Jugendlichen auch nicht. Immer wieder hatte jemand einen Scherz auf den Lippen, rebellierte oder tanzte sonst aus der Reihe.

Viele Gedanken, wie weit man gehen kann

Was in Nordkorea wohl Konsequenzen nach sich gezogen hätte, blieb hier folgenlos. Paul Vetterli ist sich bewusst, dass es nicht unproblematisch ist, wenn er seine Schüler schwarze Abfallsäcke anziehen lässt, um die einheitliche Kleidung in Nordkorea zu symbolisieren. Man habe sich deshalb im Vorfeld viele Gedanken gemacht, wie weit man bei diesem Experiment gehen könne.

In der Nachbesprechung am Nachmittag sprach er das offen an. Auch wenn die Schüler kaum länger als eine Stunde in dieser Kluft herumlaufen mussten, so hätten sie doch ein Gefühl dafür bekommen «wie es ist, wenn euch die Hände gebunden sind», sagte Vetterli. Es sei nicht einfach ein sinnloser Zwang gewesen, in diesen engen Säcken zu stecken.

Demokratie schätzen lernen

Man habe sich auch bewusst für Korea entschieden, so Hanspeter Klein, weil dieses Volk ethnisch eine Einheit bilde und es ausser den politischen Gründen keine weitere gebe, weshalb die einen hier und die anderen da seien. Das hat auch die Jugendlichen zum Nachdenken angeregt. Nicht zuletzt deshalb, weil sie nicht einfach nur da sassen und davon gehört haben, sondern weil sie mittendrin in diesem Spiel um den 38. Breitengrad herum waren.

Mitunter ein Ziel dieses Korea-Experimentes und der ganzen «Sonderwoche Politik» war gemäss den Lehrern auch, dass die Schülerinnen und Schüler schätzen lernen, in demokratischen Verhältnissen zu leben. «Wir wollten die ersten drei Tage die Schüler unsere Demokratie erleben lassen – aber danach auch aufzeigen, dass dieses Privileg nicht einfach selbstverständlich ist», sagt Paul Vetterli.

Zum Abschluss der Sonderwoche reisten am Freitag sämtliche dritten Klassen nach Bern ins Bundeshaus. Das Fazit der Sonderwoche fällt positiv aus, die Erwartungen wurden übertroffen. Hanspeter Klein sagt: «Die Schüler haben erfahren, dass Politik nicht nur trockene Materie ist.»